Wenn die Soldaten

Zunächst saßen da zwei von ihnen auf dem nassgeregneten Rasenfleck vor dem Gartenzaun und taten Dienst in und unter ihren grünbraungrauen Manöverkitteln. Es regnete vom frühen Novemberhimmel, der die Sommerfarben ebenso triste tarnte wie die Manövermoden-Farbe ihre Männer. Die beiden Rekruten trugen außer ihrem Soldatentuch sehr junge Gesichter („Rekruten" nehme ich deshalb an, weil Dienstabzeichen im Novembernebel unsichtbar waren und höhere Ränge hocken wohl nicht mehr so in der Landschaft rum). Sie waren so jung, dass beim Mittagessen jegliche Bedenken gegen Militär mit der Suppe runtergeschluckt wurden und stattdessen tiefes Mitgefühl, Mütterlichkeit und Fütterungstriebe durchbrachen. Zunächst bekamen die beiden da draußen, die die Einladung nach drinnen streng ablehnen mussten, warme Suppe nach draußen gebracht. Der Tagesablauf tat das, was er immer tut: Er lief einfach weiter. Wie der Regen. Spätnachmittags saßen die beiden immer noch da, wie zwischenzeitlich festgewachsen auf jenem Rasenplatz, und unbeweglich wie ihre erdfarbenen Knarren. Vor Kälte. „Möchten Sie Kaffee?" fragte eine weitere Tochter unserer Straße und beeilte sich mit dem Service wie sonst nie für die Familie. Abend: Der Tag verging und Jonnie und sein Freund walkten nicht, sondern saßen da gänzlich fest. Wir erfuhren, daß die beiden vom Dienstplan die Nacht da draußen verbringen würden. Training halt. Herbstmanöver. Inzwischen war aus einem anderen Haus ebenfalls Kaffee- und Suppenangebot gedrungen. Der soziale Wettbewerb im Helfen griff um sich. Unser Haus und seine Frauen schossen aber den Vogel ab: „Iso-Matten gefällig? Wir haben genug?" Die beiden dankbaren Milchbärte draußen strahlten, baten aber, die Matten und den nächsten heißen Kaffee erst in drei Stunden zu bringen. „Zwischenzeitlich sind. hier andere" (Schichtwechsel). „Wir sind pünktlich ab Mitternacht wieder da." Gegen Mitternacht trafen wir uns draußen: Die mit den Soldaten eine Zigarette rauchende ältere, die iso-mattenbewaffnete jüngere, die Mutter der beiden mit warmen Würstchen. Und natürlich ich - mit Glühwein für die beiden und einem gewissen Nagen in der Seele. Denn die einzige Möglichkeit, selbst noch zu einer Rest-Zuwendung der Frauen zu kommen, war die, die beiden da draußen mit zu verwöhnen. Und sich dafür anerkennen zu lassen. Wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren, öffnen die Mädchen die Fenster und die Türen...

28. November 1995